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„Bewusst die Augen wahrnehmen“

Durch jahrelange Beschäftigung mit mir selbst und diversen Ausbildungen  ist es für mich etwas Selbstverständliches meine Aufmerksamkeit nach innen zu richten, meinen Körper und in diesem Fall meine Augen von innen her wahrzunehmen. Aber wie ist das für die Zuhörer? Meist überhaupt nicht einfach. Es ist schwierig sich selbst von innen zu erfahren. Für Viele ist die Aufforderung die Augen zu schließen gleichbedeutend mit wegzuträumen, abzuschalten, ja sogar einzuschlafen. Erst kürzlich hatte ich in China in einem Seminar mit über 60 Teilnehmern erfahren müssen, dass mehr als die Hälfte überhaupt nicht wusste, was ich damit meinte, die Augen von innen zu erfahren. Und so war es naheliegend einfach abzuschalten und einzuschlafen. 

Wir haben nicht gelernt unser körperliches Bewusstsein zu formen. In der Schule wurde uns nur beigebracht den Intellekt auszubilden. Es gibt keine Körperschulung – dafür sind wir selbst verantwortlich. Der Körper wird meist erst dann wahrgenommen wenn er nicht mehr funktioniert oder weh tut. 

Wenn wir die Menschen auffordern während oder nach einer Augenübung zu spüren, was die Übung bewirkt hat, schulen wir das Körperbewusstsein. Aber wie oft fordern wir sie wirklich dazu auf? Wie häufig fragen wir nach, was genau damit gemeint ist, wenn wir als Antwort zu hören bekommen: „Es hat gut getan oder es fühlt sich gut an“. 

Ich denke mit unserer Arbeit als Sehtrainer haben wir eine Riesenschance das Bewusstsein für den Körper und die Funktionen der Augen und des Sehens zu schulen. Zu uns kommen nämlich Menschen, bei denen ihr wichtiges Wahrnehmungsorgan nicht mehr einwandfrei funktioniert; das heißt: sie sind motiviert. Motiviert etwas für sich zu tun. Und trotz dieser Motivation höre ich dann immer wieder, dass sie die Übungen zuhause oder im Büro nach einer gewissen Zeit wieder vernachlässigen. Nun weiß ich nicht, ob es nur meinen Klienten so ergeht und ich deshalb dafür verantwortlich bin, oder ob andere die gleiche Erfahrung machen. 

Aus dieser Erkenntnis habe ich für mich die Konsequenzen gezogen und gebe viel weniger Aufgaben oder Übungen und frage stattdessen die Augen; d.h. mithilfe eines achtsamen Körperdialoges erfrage ich, was sie brauchen, was ihnen gut tun würde und wie sie sich in Erinnerung rufen können, wenn ihre Bedürfnisse vernachlässigt oder nicht wahrgenommen werden. Die Antworten kommen oft spontan, direkt und sind häufig sehr persönlich. Und ich muss gestehen, Augenübungen stehen nicht an oberster Stelle auf der Wunschliste der Augen. 

Stattdessen wünschen sich die Augen u.a. häufiger den Himmel zu sehen und  in die Ferne zu schauen. Sie erzählen, dass Ihnen die Natur gut tut,  dass Palmieren so entspannend ist oder, dass das sie es gut fänden, wenn zuhause das Chaos aufgeräumt werden würde oder wenn Ihr Besitzer/in sich endlich entscheiden würde in ihren Beziehungen hinzuschauen anstatt ständig wegzuschauen. Ich bin immer wieder erstaunt wie einfach die Antworten kommen und wie die Augen anscheinend nur darauf gewartet haben endlich einmal angesprochen und gehört zu werden. 

Diese Antworten kommen von innen und haben deshalb unmittelbar etwas mit meiner Wirklichkeit zu tun. Der Körper weiß anscheinend was ihm gut tut und was nicht. Die Aufforderungen kommen nicht von außen, sondern aus seiner Mitte heraus. Sie fördern damit die Schulung des Körperbewusstseins und damit auch des Erspürens, wann es z.B. an der Zeit ist vom PC wegzuschauen und eine Pause einzulegen. 

Ich hatte vor langer Zeit einmal ein Augenübungsprogramm für Computernutzer geschrieben. Nach einer gewissen Zeit kam die Ermunterung eine Augenpause einzulegen und eine Augenübung zu absolvieren. Ich fand es eine geniale Idee, den PC so zu programmieren, dass er selbst zur Augenübung  aufforderte. Aber die Testpersonen der Softwarefirma, welche das Programm erstellen sollte, fanden diese Unterbrechungen nur lästig und haben die Anweisung meist weg geklickt. Diese Übungen wurden als ein „Muss“ empfunden und nicht als ein „Möchte“, d.h. sie kamen von außen und nicht aus ihrem Körperbewusstsein. 

Aber wie schafft man es im Alltag automatisierte Handlungen und Muster zu durchbrechen und z.B. unsere Brille abzunehmen, wenn wir nicht scharf sehen müssen? In der Regel sind wir uns unseres Körpers nicht bewusst, wir spüren nicht  in welcher Körperhaltung wir jetzt auf dem Stuhl sitzen oder wie unsere Augen auf den PC starren. Wir sind es nicht gewohnt achtsam zu sein und uns selbst immer wieder wahrzunehmen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit bedenkenlos nach außen, wir sind gerne beschäftigt und innehalten ist nicht unsere Stärke. Und genau da liegt die Chance etwas zu verändern. In den kleinen Momenten des Nichtstuns, in den Pausen zwischen den Atemzügen. 

Die Bedürfnisse der Augen welche in den achtsamen Körperdialogen auftauchen sind oftmals passiv, sie fordern auf hinzuschauen, wahrzunehmen, die Weite zu genießen, nichts zu tun oder endlich etwas zu vollenden.  In diesem Kontext  bedeutet wahrnehmen,  ein bisschen Zeit zu verbringen mit dem von innen gespürten Körper, verweilen mit dem was wir spüren und zu vertrauen. Worauf? Auf das, was wir schon spüren, aber vielleicht noch nicht benennen können. Und wenn wir es wagen einmal nichts zu tun, dann können sich im Licht unserer Aufmerksamkeit die Antworten entfalten. 

Georg Buchheit, Sehtrainer, Lehrer für Stressabbau durch Achtsamkeit, Focusing Begleiter